Abschottung des Zuckermarkts schwächt Schweizer Hersteller
INTERVIEW: Die Treue von Süsswarenkonsumenten sei nicht unendlich hoch, sagt Urs Furrer von Biscosuisse
Urs Furrer ist Geschäftsführer von Biscosuisse, Verband der industriellen Hersteller von Zuckerwaren. Er erklärt, was für Auswirkungen ein Grenzschutz für Schweizer Zucker auf seine Branche hat.
Sie warnen vor einer gesetzlichen Verankerung des Grenzschutzes für Zucker im Landwirtschaftsgesetz, wieso?
Es
wäre ein Systembruch. Es würde eine Asymmetrie im Gesetz verankert:
Grenzschutz für den Rohstoff, freier Markt für Verarbeitungsprodukte.
Schweizer Verarbeitungsbetriebe würden im Inlandmarkt und im EU-Markt kürzere Spiesse als Importeure von ausländischer Ware haben. Wegen der bilateralen Verträge mit der EU ist auch keine Ausgleichsmöglichkeit vorhanden. Das versetzt die Schweizer Verarbeitungsbetriebe in eine sehr schwierige Situation.
Was wären die konkreten Auswirkungen für die 13 Schweizer Hersteller von Zuckerwaren?
Bereits
heute besteht eine Preisdifferenzierungskraft der «Schweizer Zucker
AG», als Monopolanbieterin von Schweizer Zucker, gegenüber den
Abnehmern. Die Monopolposition in Kombination mit dem Grenzschutz verstärkt
diese Preisdifferenzierungskraft. Die Zuckerfabrik kann die Preise
festlegen, es herrscht eine Intransparenz. Keiner weiss, welchen Preis
der Schweizer Zucker wirklich hat, die Hersteller sind in gewisser Weise
abhängig von der Preisbildung der Monopolanbieterin.
Zuckerimporte sind mit 70 Franken/Tonne Zoll belegt. Ist
dieser kleine Aufpreis für den Zucker für die Branche nicht verkraftbar?
Die
Intransparenz auf dem Markt macht es schwierig, hier eine allgemeine
Antwort geben zu können. Nehmen wir einmal an, der Grenzschutz schlägt
1:1 auf den Preis für Schweizer Zucker durch, dann befinden wir uns im
zweistelligen Millionenbereich pro Jahr zulasten der
Verarbeitungsbetriebe. Je nachdem, wie ein Unternehmen aufgestellt ist
und welche Strategien es fährt, ist es mehr oder weniger stark davon
betroffen. Klar ist, dass der Importdruck immer höher wird und dass die
Treue der Süsswarenkonsumenten zu in der Schweiz hergestellten Produkten
nicht unendlich hoch ist und dass schnell einmal zum billigeren
Importprodukt gegriffen wird.
Wie wichtig ist «Schweizer Zucker» für die Zuckerwarenhersteller in der Schweiz überhaupt?
Jedes
Unternehmen wird diese Frage aufgrund seiner wirtschaftlichen
Entscheidungen, je nach Produkt und Markt, wohl individuell beantworten.
Ich gehe stark davon aus, wenn es Schweizer Zucker hat, dann wird
Schweizer Zucker verwendet. Jedoch ist am Schluss die
Wettbewerbsfähigkeit massgebend, denn wir befinden uns mit unseren
Produkten im freien und ungeschützten Markt. Wenn die
Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr gegeben ist, dann muss ein Unternehmen
wirtschaftliche Entscheide treffen.
Wie viel Prozent macht der Schweizer Zucker bei der Gesamtproduktion der Schweizer Süsswaren aus?
Die
industriell in der Schweiz produzierenden Hersteller von Süsswaren ohne
Getränke (d.h. insbesondere von Schokolade, Biskuits, Bonbons und
vergleichbaren Produkten) verarbeiten zusammen rund 40 Prozent des
Schweizer Zuckers. Hinzu kommen die gewerblichen Süsswarenhersteller wie
z.B. die Konditoreien.
Ist «Swissness» bei den Rohstoffen für Schweizer Zuckerwaren für die Konsumenten wichtig oder eher irrelevant?
Gerade
bei Zuckerwaren greifen Konsumenten sehr oft und immer häufiger zu
Importwaren. Offenbar entscheidet zu einem grossen Teil auch der Preis
über das Kaufverhalten.
Der Zucker(-rüben)markt ist unter massivem
Druck, viele Produzenten planen einen Ausstieg. Ohne Schweizer Zuckerrüben keinen Schweizer Zucker. Kann man
es sich erlauben, dass die Schweizer Zuckerbranche eines Tages nicht
mehr existieren wird?
Ziel von Biscosuisse ist es nicht,
dass es keinen Schweizer Zucker mehr gibt. Wenn wir uns eine ideale Welt
aussuchen könnten, dann wären die Rohstoffpreise überall – auch in der
EU – so hoch angesetzt, dass Landwirte marktorientierter verkaufen
könnten und dass sie nicht auf Subventionen angewiesen wären. Wir leben
aber nicht in einer solch idealen Welt, und ein fixer
Mindest-Grenzschutz für den Zucker in der Schweiz verschafft den
hiesigen Verarbeitern Nachteile. Es stellen sich doch eigentlich ganz
andere Fragen: Ist der Grenzschutz das richtige Instrument gegen die
Probleme beim Schweizer Zucker? Wird da der Hebel richtig angesetzt? Und
was für ein Signal wird damit an die Verarbeiter gesendet? Haben wir
das Gefühl, die Branche so zu retten oder liegen die Herausforderungen
zurzeit an anderen Orten, zum Beispiel beim Vergilben von ganzen Kulturen?
Strebt Biscosuisse noch immer ein Agrarfreihandelsabkommen mit der EU an?
Ich
glaube, diese Frage erübrigt sich. Die Politik hat beschlossen, dass
sie das nicht will. Damit vergrössert sich die Kluft zwischen
Grenzschutz für Rohstoffe einerseits sowie Importdruck und
Exportnachteilen bei verarbeiteten Produkten andererseits immer mehr.
Jetzt auch noch einen Mindestgrenzschutz auf Teufel komm raus zu
verankern, finde ich eine gefährliche Strategie. Mit unseren
verarbeiteten Produkten befinden wir uns im Markt, und wir stellen uns
als erste Frage: Sind wir noch wettbewerbsfähig? Die Zuckerbranche steht
dann vielleicht künftig der Frage gegenüber: Haben wir in der Schweiz
noch genügend Abnehmer für Schweizer Zucker?
Beenden Sie die Sätze …
Schweizer Zucker ist … ein Politikum.
Grenzschutz ist … zunehmend asymmetrisch.
Landwirtschaft ist … die Grundlage unserer Ernährung.
Das Interview erschien am 20. März 2021 im "Schweizer Bauer" und wurde von Anja Tschannen geführt.